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Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Jede Zeit braucht ihre Stauffenbergs

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission

Meine Beiträge im Jahr 2016

Gastbeitrag BaZ vom 20.7.2016

Wolfsschanze, Rastenburg/Ketrzyn, Ostpreussen: Die Besichtigung der berühmt-berüchtigten "Wolfsschanze", des Führerhauptquartiers, in dem Hitler von 1941-44 rund 800 Tage weilte, macht unserer kleinen Besuchergruppe grossen Eindruck. Die Sprengung der riesigen Bunkeranlage und Befehlszentrale am 24. Januar 1945, als die heranrückende Rote Armee schon bedrohlich nahe war, gelang wegen der bis 10 Meter dicken Bunkerdecken und der 6-8 Meter dicken Seitenwände aus Stahlbeton nicht vollständig, sodass noch einiges zu sehen ist.

In der Wolfsschanze führte Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944, also vor 72 Jahren, bekanntlich sein berühmtes Attentat auf Hitler aus, das leider misslang, das aber Zeugnis ablegt vom mutigen Widerstand Stauffenbergs, seiner Mitverschwörer und vieler Deutscher gegen das verbrecherische Naziregime. "Als die Lichter ausgingen in Europa" (Stefan Zweig) waren insbesondere die Widerstandgruppe um Stauffenberg und das Attentat der Beweis, dass es auch noch ein anderes Deutschland gab.

Ironie der Schicksals: Mehrere Attentate auf den "Führer" waren zuvor gescheitert - gemäss der Nazi-Propaganda Zeichen der "göttlichen Vorsehung". So schmuggelten beispielsweise Henning von Tresckow, Chef des Stabes der Heeresgruppe Mitte, und sein Adjutant Fabian von Schlabrendorff während eines Frontbesuchs Hitlers in Smolensk am 13. März 1943 eine als Cognac-Flasche in einem Kistchen getarnte Bombe in die Junkers (Ju) 52 des "Führers". Sie sollte während des Rückflugs explodieren. Aber der Zündmechanismus versagte in der eisigen Luft des Frachtraums.

Enorme Schwierigkeiten

Auch der Plan der Widerstandsgruppe um Stauffenberg stiess auf unerwartete Schwierigkeiten. Weil es sehr heiss war, wurde die Lagebesprechung vom 20. Juli kurzfristig von Hitlers Bunker in die Baracke aus Backstein mit offenen Fenstern verlegt. Und in Erwartung von Mussolinis Besuch wurde die Besprechung kurzfristig um eine halbe Stunde vorverlegt. Stauffenberg, der 1943 beim einem Tieffliegerangriff in Nordafrika das linke Auge und die rechte Hand sowie zwei Finger der linken Hand verloren hatte, gelang es mit seinem Adjutanten Werner von Haeften nur noch einen der beiden Sprengsätze scharf zu machen. Das Resultat ist bekannt: Die Sprengkraft war zu klein, um Hitler zu töten; er wurde nur leicht verletzt.

Die geplante Verhaftung und Entmachtung der Nazigrössen, der SS, des Sicherheitsdienstes und der Gestapo, sowie die vorgesehene Errichtung einer Übergangsregierung, die Einstellung der Kampfhandlungen und die Auflösung der Konzentrationslager misslang. Mit furchtbaren Folgen: Stauffenberg und seine engsten Vertrauten - General Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Oberleutnant von Haeften - wurden kurz nach Mitternacht standrechtlich erschossen. Der Volksgerichtshof inszenierte danach einen diabolischen Schauprozess, und es folgte ein Rachefeldzug, dem insgesamt rund 700 Eingeweihte und Verdächtige zum Opfer fielen. Bis zum Ende des Krieges starben nochmals so viele Soldaten und Zivilpersonen wie in all den Kriegsjahren zuvor.

Die ausserordentlich mutige Tat Stauffenbergs kann meines Erachtens nicht genug gewürdigt werden. Obwohl er Hitler anfänglich positiv beurteilte, reifte aufgrund der Massenmorde und Verbrechen des Regimes sein Entschluss, dass Hitler beseitigt werden müsse und dass er selbst zur Tat schreiten müsse. Stauffenberg wird unauslöschlich in Erinnerung bleiben als Mann, der unter dramatischen Umständen und unter Einsatz seines Lebens gegen Unrecht, Terror und Massenmord gehandelt hat. Er muss uns allen - auch in weniger dramatischen Zeiten - Vorbild und Verpflichtung zum Handeln sein, wenn es die Situation erfordert.

Szenenwechsel

Vor einigen Jahren, in einer weit weniger dramatischen Zeit, hatte ich das Glück, Stauffenbergs jüngsten Sohn, Franz Ludwig Graf von Stauffenberg, kennenzulernen, den ich zu einem Vortrag in Bern (an der AUNS-Jahresversammlung 2009) eingeladen hatte. Stauffenberg, ein Hüne von Mann, ehemaliger CSU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag, Vorsitzender des Rechtsausschusses im EU-Parlament, Sprecher der sogenannten Verfassungsklage - und durch seinen Vater direkt betroffener Zeitzeuge der jüngeren europäischen Geschichte (die Familie Stauffenberg und viele andere wurden nach dem Attentat in Sippenhaft genommen) - hinterliess einen tiefen Eindruck. Er hat vom Format seines Vaters offensichtlich einiges geerbt.

Franz Ludwig hat nicht gegen ein verbrecherisches Regime handeln müssen. In einer andern Zeit und unter völlig andern Umständen warnte er als "überzeugter Europäer" lediglich vor den Fehlentwicklungen in der EU, die im Vertrag von Lissabon kulminierten. Denn Lissabon sei nicht ein "Sieg für Europa", sondern ein Sieg der Funktionäre und der "Amtlinge" über die Bürger, womit letztlich der Rechtsstaat und die Demokratie ausgehebelt würden. Und er gab uns Schweizern den Rat: "Schaut euch diesen Laden genau an!" (Und das haben wir auch getan).

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So braucht wohl jede Zeit und jede Epoche ihre grossen und kleinen Stauffenbergs, die handeln und zum Rechten sehen, wenn es die Umstände erfordern. Gott sei Dank geht es dabei in der Regel nicht um Grössenord-nungen wie am 20. Juli 1944. Im normalen Alltag genügt oft schon etwas Zivilcourage.