Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau
Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015
Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant
Teil 27 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver PolitikIm Vorfeld der Wahljahres 1995 steht einmal mehr die Schweiz/EU-Frage im Zentrum.
Nach der Jahrhundert-Abstimmung über den EWR-Beitritt am 6.12.1992 versuchen die
unterlegenen Befürworter immer wieder, angebliche "massive Nachteile" für die
Schweiz zu beschwören. So findet u.a. am 18. Januar 1995 im Stadtcasino Winterthur
ein Streitgespräch zum Thema "EWR-Nein: Fluch oder Segen? Eine Zwischenbilanz" statt.
Die Kontrahenten sind Christoph Blocher und Helmut Hubacher. Gesprächsleiter ist -
wer denn sonst? - der damalige "Arena-Dompteur" Filippo Leutenegger. Der grosse
Casinosaal ist prall gefüllt.
Zu Leuteneggers Eingangsfrage: "Wer hat punkto EWR recht gehabt?" will Hubacher
"noch keine abschliessende Antwort" geben; die Tendenz sei aber "klar negativ".
Was am 6.12.92 abgelehnt worden sei, müsse nun mit mühsamen bilateralen Verhandlungen
gesichert werden. Dass unsere Freiheit und Unabhängigkeit durch einen EWR/EU-Beitritt
nicht gefährdet sei, zeige Finnland, das im Zweiten Weltkrieg heroisch gekämpft habe
und nun der EU beigetreten sei, während "die Schweizer im Fauteuil gesessen haben".
Auf diese Aussage des SP-Parteipräsidenten folgt ein wütender Protest im Saal
(und Hubacher hat damit wohl bereits verloren).
Auch seine Behauptung von der
Auslagerung vieler Betriebe in den EU-Raum - als einziges Beispiel nennt er den
angedrohten Wegzug von "Ricola" ins Elsass - bleibt ohne Wirkung im Saal.
Und als er mehrere Studien des Vororts (heute economiesuisse) zu den
angeblichen Negativfolgen des EWR-Neins ins Feld führt, erntet er lediglich
Bemerkungen wie "gezinkte Studien" oder "gekaufte Studien", deren Resultat
zu vornherein festgestanden habe.
Blocher erntet sogleich Applaus, als er festhält: "Die Schreckensszenarien
der EWR/EU-Beitrittsbefürworter sind nicht eingetroffen. Im Gegenteil:
Die Schweiz ist zur Zinsinsel geworden, der Franken ist erstarkt. Und vor
allem haben wir unsere Freiheit, Selbstbestimmung und Neutralität - die
Grundlagen unseres Erfolgs - bewahrt." Die selbständige, stabile Schweiz
geniesse Vertrauen, und die Probleme von gewissen Betrieben hätten mit dem
EWR-Nein wenig bis nichts zu tun, dienten aber als bequeme "Rechtfertigung"
für das Versagen der Manager. "Im Übrigen sind bilaterale Verhandlungen für
unser Land seit 700 Jahren eine Selbstverständlichkeit", stellt Blocher fest.
Das bundesrätliche "Konzept" - bilaterale Verhandlungen und zugleich der EU-Beitritt
als "strategisches Ziel - sei eine krasse Missachtung des Volkswillens und ein Vertrauensbruch.
Kurz darauf nennt auch Dr. Hermann Gericke, ein erfolgreicher
Maschinenindustrieller aus Küsnacht, in den Medien die Vorteile des
Nicht-Beitritts zum EWR aus seiner Sicht: 1. Geringere Staatsquote, u.a.
durch die Nichteinstellung von 500 zusätzlichen Beamten 2. Tiefere
Fiskalquote und dadurch geringere Unternehmensbesteuerung 3. Tieferen
Zinsen 4. Kein Souveränitätsverlust 5. Kein zwangsweiser Nachvollzug
von EU-Recht 6. Beibehaltung von Standortvorteilen dank der direkten
Demokratie 7. Längere (statt gleich lange) Spiesse für unsere Unternehmen
8. Niedrigere Belastung der Arbeitslosenversicherung und der Sozialabgaben
durch Vermeidung von zuströmenden Arbeitskräften bzw. Arbeitslosen aus
der EU. 9. Beibehaltung des hohen Volkseinkommens pro Kopf und damit
des Wohlstandes 10. Besseres Selbstwertgefühl der Bürger; sie haben
"das letzte Wort".
Auch heute, in Zeitalter des "Rahmenvertrags" Schweiz-EU, geht es um die gleiche Kernfrage:
Bleibt die Schweiz frei, selbstbestimmt, neutral (und damit erfolgreich) - oder
unterwerfen wir uns fremdem Recht, fremden Richten und allfälligen Strafmassnahmen?
Es ist auch heute unser Auftrag und unsere Pflicht, den Leuten die Augen zu öffnen,
damit sie nicht auf die Schönfärberei, die Halb- und Unwahrheiten der "Elite" in
Bundesbern sowie gewisser Wirtschaftsverbände und Manager hereinfallen. Diesen Kampf
müssen wir - mit all jenen, die ohne Wenn und Aber zur Schweiz stehen - gewinnen.
Sonst wäre die Schweiz nicht mehr die Schweiz.
Wir enden sonst ähnlich wie "Der Panther" im genialen Gedicht von Rainer Maria Rilke
(1875-1926). Rilke beschreibt darin das traurige Schicksal des einst stolzen,
prächtigen Panthers, der seine Freiheit verloren hat und nun (1902, im Jardin des
Plantes in Paris) hinter Gittern apathisch seine Runden dreht:
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein grosser Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch die Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein.
*
Wie schon beim EWR lassen wir uns auch im Zeitalter des Rahmenvertrags nicht zu
ohnmächtigen Befehlsempfängern degradieren. Die Väter des Bundesbriefes, der
Bundesverfassung und der erfolgreichen Schweiz würden sich sonst im Grab umdrehen.
(Fortsetzung folgt)