Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Einkaufstourismus - zu welchem Preis?

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission

Meine Beiträge im Jahr 2016

2.6.2016

Unsere Tochter wohnt mit ihrem Mann und dem kleinen Valentin im Raum Zürich. Meine Frau hat pro Woche einen Tag Hütedienst beim "schönsten und klügsten" aller Enkel, und ich unterstütze sie dabei hin und wieder. Gerne wandern wir mit dem Kinderwagen ins Dorf, denn das Dorf "lebt". Bäcker, Metzger, Lebensmittelladen, Restaurant, Café, Post, Blumenladen, Boutiquen, Kiosk, Kinderspielplatz etc. - alles, was zu einer attraktiven, gesunden Dorfstruktur gehört, ist vorhanden, und wir fühlen uns wohl. Würden einige Läden und Geschäfte verschwinden, so würde Wesentliches fehlen, was das Dorf und das Leben lebenswert macht.

"An der Basler Freiestrasse schliessen immer mehr Läden, Geschäfte und Boutiquen", klagte kürzlich ein Bekannter. "Zeitgeist, Frankenstärke, Euroschwäche", lautet seine Erklärung. Man könne kaum etwas dagegen tun. Ich weiss, dass dieser Bekannte, obwohl gut betucht, fast alles jenseits der Grenze kauft, weil es doch "so viel billiger" sei und er das Einkaufserlebnis geniesse.

Gegen das neue Evangelium "Ich kaufe, wo es am billigsten ist" scheint kein Kraut gewachsen. Die Einkauftouristen sorgen bekanntlich dafür, dass unseren KMU jährlich über 10 Milliarden Franken verloren gehen. Viele Schweizer KMU werden in den Ruin getrieben - mit gravierenden Folgen. Lässt sich dagegen wirklich nichts tun?

Shitstorm-Wirkung

Ich habe dem Bundesrat seinerzeit die Frage gestellt: Ist der Bundesrat bereit, darauf hinzuwirken, dass Schweizern, die jenseits der Grenze einkaufen, die Mehrwertsteuer nicht mehr oder nur noch teilweise zurückerstattet wird? Oder sieht der Bundesrat eine bessere Lösung?

Diese blosse Frage löste einen "Shitstorm" von 700 mehrheitlich erbosten Leuten aus: "Die Schweizer sind mündig genug, um selber zu entscheiden, wo sie einkaufen." Oder: "Fehr hat keine Ahnung. Ärmere Familien können die hohen Schweizer Preise gar nicht zahlen." Tatsache ist jedoch: Eine Schweizer Familie gibt im Durchschnitt nur noch 6,7% ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. Zudem sind es oft Leute mit luxuriösen Autos, die dem Einkaufstourismus frönen und sich fast alles leisten können.

"Vertrauen in die hiesige Bevölkerung"

Der Bundesrat hat auf meine Anfrage geantwortet: "Der steuerfreie Einkauf im Ausland ist bei der Mehrwertsteuer systemkonform." Denn die Steuer sei grundsätzlich im Bestimmungsland der Ware (in der Schweiz) und nicht im Herkunftsland (Deutschland) zu bezahlen. Er plädiert für tiefe Zölle und längere Ladenöffnungszeiten. Zudem habe er "Vertrauen in die hiesige Bevölkerung, dass sie die Vorteile des lokalen Einkaufens bei ihren Entscheidungen berücksichtigt".

Indes geht das KMU-Sterben vor allem im Grenzgebiet weiter. Dazu kommt, dass der Einkaufstourismus auch staatlich und medial gefördert wird. So wurde bekanntlich die Basler Tramlinie 8 nach Weil am Rhein verlängert, und auf der Strecke Zürich-Konstanz hat die SBB zusätzliche Wagen angehängt. Eine Zeitung frohlockte: "Wer mit vollen Taschen vom Ausland-Einkauf heimkehrt, kann sich freuen. Die Abfertigung am Zoll wird vereinfacht." Aus dem Berner Oberland fahren regelmässig Cars mit Einkaufswilligen nach Waldshut. Derweil wälzen sich durch meinen Wohnort Eglisau Massen von Einkauftouristen, sodass vor allem gegen das Wochenende ein unerträglicher "Einkaufstourismus-Stau" von Bülach bis über Eglisau hinaus entsteht.

Was ist zu tun?

Der Gemeinderat Eglisau hat unlängst die "Aktion Mehrwert" lanciert, um die Leute zum Einkaufen in den örtlichen Geschäften zu bewegen. Wer auf der Gemeindeverwaltung 160 Franken bezahlte, bekam Einkaufsgutscheine im Gegenwert von 200 Franken. Die zweimonatige Aktion lief zwar recht gut, blieb aber ohne die erhoffte Langzeitwirkung. Was brächte es, wenn die Mehrwertsteuer erst ab einem Einkaufbetrag von 50 oder 100 Euro zurückerstattet würde? Vielleicht gäbe es etwas weniger Einkaufsfahrten, am gesamten Einkaufsvolumen würde sich wohl nichts ändern.

Wollen wir gemäss Bundesrat darauf "vertrauen, dass die hiesige Bevölkerung die Vorteile des lokalen Einkaufens bei ihren Entscheidungen berücksichtigt"? Oder warten wir, bis sich der Eurokurs bei 1.40 Franken eingependelt hat? Gemäss einer Studie der Universität St. Gallen wird der Einkaufstourismus erst ab dieser Limite unattraktiv. Ob ich das mit Jahrgang 1947 noch erlebe?

Darum zurück zu meiner banalen Frage: Warum sollen Schweizer, die im Ausland preisgünstig einkaufen, auch noch die dortige Mehrwertsteuer zurück erhalten? Logischerweise sollte doch dort, wo man einkauft, auch die landesübliche Mehrwertsteuer gelten. Darüber müsste der Bundesrat mit Berlin verhandeln. Natürlich ist das schwierig, weil viele süddeutsche Geschäfte zu einem wesentlichen Teil von den Einkaufstouristen leben. Anderseits gibt es immer mehr Deutsche, welche die Invasion durch Schweizer Einkaufstouristen und die endlosen Staus kritisieren. Baden-Württemberg hat die Bundesregierung kürzlich zum Handeln aufgefordert.

Die wirksamste Lösung

Warum wählen wir nicht die einfachste und wirksamste Lösung? Indem wir mit unseren Schweizer Löhnen in der Schweiz einkaufen und für unsere hohen Anforderungen an die Qualität, die Produktion und die Tierhaltung etwas mehr zahlen. Und indem wir anerkennen, dass die KMU massgeblich für intakte dörfliche und städtische Strukturen sorgen, Arbeitsplätze schaffen und Lehrlinge ausbilden, und dass sie das Rückgrat unseres Wohlstands sind.

Wer als Einkaufstourist dazu beiträgt, gesunde Strukturen und damit Lebensqualität in unseren Dörfern und Quartieren zu zerstören, schadet sich selbst. Denn trotz scheinbar tiefer Preise ist der wahre Preis, den wir für den Einkaufstourismus zahlen, viel zu hoch.