Seit 715 Jahren hat unsere Eidgenossenschaft Bestand. Die Urkantone haben
1291 "in Gottes Namen" mit dem Bundesbrief gelobt, einander
im Hinblick auf die "Arglist der Zeit" beizustehen und keine
fremden Herrscher und Richter zu dulden. Der Bundesbrief ist somit hochaktuell.
"Diese Ordnungen sollen, so Gott will, dauernden Bestand haben",
heisst es im Bundesbrief.
Tatsächlich haben diese Ordnungen bis heute Bestand gehabt. Unsere
Eidgenossenschaft hat schwierige Zeiten, Hungersnöte und Religionskriege
überstanden, manchmal war sie gar in ihrer Existenz bedroht. Aber
trotz aller Schwächen und Fehler hat man immer wieder auf den rechten
Weg zurückgefunden. Der Kleinstaat Schweiz ist zur beneidenswerten
Erfolgsgeschichte geworden, zum Land von Freiheit und Wohlstand.
Die Erfolgsgeschichte der Schweiz hat massgeblich mit den weltweit einzigartigen
politischen Strukturen unseres Landes zu tun - mit unseren ausgeprägten
Volks- und Freiheitsrechten, mit der direkten Demokratie, mit der Unabhängigkeit.
Und ebenso mit der bewaffneten Neutralität als geniales Sicherheitsinstrument
des Kleinstaates. Die Devise "Weltoffenheit, aber keine Einbindung
in grosse Machtgebilde" hat sich bewährt. Klaus von Dohnanyi,
ehemaliger SPD-Bundesminister und Bürgermeister von Hamburg, hat
die Schweiz aufgrund ihrer einzigartigen politischen Strukturen als "Achtes
Weltwunder" bezeichnet. Und Weltwunder sollte man nicht leichtfertig
über Bord werfen.
Leider ist man in Teilen des Bundeshauses und in weiteren Kreisen auf
dem besten Weg, dieses Weltwunder schrittweise über Bord zu werfen:
Ein verbreiteter Drang zum Anpassertum an das Grossräumige; der Drang
von Regierenden und Selbstdarstellern, sich grössenwahnsinnig und
unter Missachtung der Neutralität auf der internationalen Bühne
zu inszenieren und sich in fremde Konflikte einzumischen; die gefährliche
Illusion, Angehörige fremder Kulturen und Mentalitäten liessen
sich in unbegrenzter Zahl mit unserer christlich-abendländischen
Kultur "verheiraten"; die überbordende Staatsgläubigkeit
anstelle von mehr Selbstverantwortung; der Wahn von der Grenzenlosigkeit
und von der "kollektiven Sicherheit" - all dies gefährdet
die Erfolgsgeschichte Schweiz.
Zum 1. August 2006 appelliere ich deshalb an alle Verantwortungsträger
und an alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land:
Lasst uns aufbrechen zu den Wurzeln der modernen, erfolgreichen Schweiz!
Besinnen wir uns wieder auf den tiefen Sinn des Bundesbriefes. Besinnen
wir uns auf die Besonderheiten, welche die Erfolgsgeschichte Schweiz ermöglicht
haben und weiterhin ermöglichen werden: Freiheitsliebe, Unabhängigkeit,
Selbstverantwortung, stikte Neutralität, Weltoffenheit - aber auch
Kreativität, Leistungsfreude, Lebensfreude, Dankbarkeit und Nationalstolz!
Nach 715 Jahren Schweiz haben wir allen Grund dazu.
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