Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der Auns

Von Hans Fehr, a. Nationalrat und Geschäftsführer der Auns, Eglisau ZH

Teil 8 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver Politik

Im Hinblick auf die Schlussabstimmung der eidgenössischen Räte vom 8. Oktober 1999 über die sieben sektoriellen Verträge zwischen der Schweiz und der EU („Bilaterale I“) steht die Auns vor der Frage: Ergreifen wir das Referendum oder nicht? Schon an der Mitgliederversammlung vom 8. Mai 1999 – zufälligerweise am Jahrestag vom Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa – hat Auns-Präsident Christoph Blocher gesagt: „In diesem Jahr gilt es für uns zu entscheiden, ob gegen die Vorlagen zum freien Personenverkehr und zum Landverkehrsabkommen das Referendum ergriffen werden soll. Der Entscheid ist im Herbst dieses Jahres zu fällen.“

Denn beide Vorlagen – und das machen wir in den „Grauen Briefen“ der Auns (zum Hineinleuchten in die Grauzonen der schweizerischen Aussenpolitik) allen Mitgliedern klar – haben gravierende Folgen: 

Nach einer umfassenden Beurteilung der Lage entscheidet der Auns-Vorstand wie folgt:

1. Die Auns kann das Gesamtpaket der bilateralen Verträge nicht unterstützen. Wegen der schlechten Verhandlungsführung des Bundesrates, welche sich durch fehlende Zielsetzung, falsche Strategie und unnötigen Zeitdruck auszeichnet (man fühlt sich an den aktuellen Rahmenvertrag erinnert!) bringt das Vertragswerk neben unwesentlichen Vorteilen schwere innenpolitische Nachteile für die Schweiz: finanzielle Abenteuer im Sozialbereich, zunehmende Arbeitslosigkeit, Nivellierung der Löhne – verbunden mit sozialistischen Massnahmen (staatlich festgesetzte Mindestlöhne, Kollektivierung der Arbeitsverträge). Auch durch Neuverhandlungen, welche wiederum der heutige EU-hörige Bundesrat zu führen hätte, wären keine besseren Resultate zu erwarten.

2. Im Gegensatz zum EU-Beitritt und zum EWR-Kolonialvertrag wird jedoch die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz durch die Bilateralen I nicht beeinträchtigt. Sie sind der Ersatz für einen folgenschweren EU-Beitritt, der mit dem Inkrafttreten der Verträge definitiv vom Tisch ist.

Aus diesen Gründen verzichtet die Auns auf ein Referendum.

Am 21. Mai 2000 wird das Schweizer Volk die Verträge mit 67,2 Prozent Ja-Stimmenanteil  gutheissen. Dies nachdem der Bundesrat vom „ausgewogenen Ganzen“ des Vertragspakets und von einem Wachstum der volkswirtschaftlichen Leistung (BIP) um zwei Prozent geschwärmt hat. Ebenso hat er tatsachenwidrig behauptet, es kämen pro Jahr höchstens 8‘000 bis 10‘000 EU-Bürger in die Schweiz, und dies sei nur möglich, „wenn sie eine Arbeitsstelle gefunden haben“. Zudem könne die Schweiz bei Bedarf die Schutzklausel anrufen, um die Zuwanderung zu bremsen. (Dies ist allerdings erst dann möglich, wenn die Zuwanderung im Mittel von drei Jahren übermässig gestiegen ist, wenn es also schon zu spät ist).

Ironie des Schicksals

Am 8. Mai 1999 findet nicht nur die denkwürdige Auns-Mitgliederversammlung in Bern, sondern auf dem Zürcher Münsterhof gleichzeitig das Zürcher „Europafest“, die Feier zum 50. Jahrestag des Europarates, statt. Und dort ereignet sich „Unbotmässiges“: Roger de Weck, ehemaliger Chefredaktor des „Tagesanzeigers“, und Stadtpräsident Josef Estermann, unterstützt von der anschlussbegeisterten Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (Nebs), haben die Feier zu einer Manifestation für einen raschen EU-Beitritt der Schweiz machen wollen. Das geht aber gründlich in die Hosen. Denn der als Gastredner eingeladene Klaus von Dohnanyi, SPD, ehemaliger Bundesminister und Erster Bürgermeister von Hamburg, rät der Schweiz eindringlich von einem EU-Beitritt ab und gibt seiner Besorgnis Ausdruck, dass „dieses wundervolle Vorbild für ein föderalistisches Europa“ durch die zentralistischen Entscheide der Brüsseler Kommissare „eingeebnet“ werden könnte. Mehrfach lobt Dohnanyi unsere „unvergleichliche Demokratie“ und bezeichnet die Schweiz gar als das „achte Weltwunder“. Derweil werden die Gesichter von de Weck, Estermann und Co. immer länger …

PS: Ich habe einige Jahre später das Glück, dass Klaus von Dohnanyi zusagt, an der Auns-Mitgliederversammlung 2006 zum Thema Schweiz und EU als Gastreferent aufzutreten, wo er einen tiefen Eindruck hinterlässt. Höchst eindrücklich ist im persönlichen Gespräch auch sein Hinweis auf seinen Onkel Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), den herausragenden Kopf der Bekennenden Kirche und des Widerstands), den er als 16-Jähriger in der Haft noch besuchen konnte, bevor Bonhoeffer im KZ Flossenbürg kurz vor Kriegsende auf persönlichen Befehl Hitlers hingerichtet wurde. Von Bonhoeffer stammen bekanntlich die Worte: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Du bist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

*

Mit Genugtuung vernehmen wir im Sommer 1999, dass in Luzern eine „linke Auns“ gegründet worden sei. Sie wird präsidiert vom grünen Arzt Peter Mattmann und nennt sich „Bewegung für eine neutrale Schweiz ohne EU/Nato-Beitritt“. Oberstes Ziel der Bewegung ist die Erhaltung der Neutralität des Kleinstaates Schweiz, welche sie vor allem durch die „neue Offensiv-Strategie der Nato“ bedroht sieht. Wir begrüssen es natürlich, wenn weitere Kräfte aus unterschiedlichen politischen Lagern für die Unabhängigkeit und die Neutralität unseres Landes einstehen. Eine Fusion dieser Kräfte, die von verschiedener Seite immer wieder gefordert wird, erachten wir aber als falsch. Sonst haben unsere Gegner, vorab die linken Medien, leichtes Spiel und könnten das ganze „Konglomerat“ in den gleichen „rechtkonservativen, rechtsextremen, nationalistischen, ewig gestrigen“ Topf werfen. Die „Mattmann-Bewegung“ hat es allerdings in der Folge nicht geschafft, eine grössere Bedeutung über Luzern hinaus zu erreichen.

(Fortsetzung folgt)



Hans Fehr