Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau
Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015
Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant
Teil 20 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver PolitikIm Hinblick auf die EWR-Abstimmung vom 6. Dezember 1992
melden sich neben der Auns und der SVP immer mehr Bürgerinnen
und Bürger zu Wort, die erkannt haben, dass der EWR-Beitritt
unweigerlich zum EG-Beitritt führt und das Ende der
souveränen Schweiz bedeuten würde. Überzeugt, dass sie
einen persönlichen Beitrag leisten müssen, schreiben sie
Leserbriefe, machen Inserate in der lokalen und regionalen
Presse, verteilen Flugblätter, melden sich an Veranstaltungen
zu Wort, unterstützen die Anti-EWR-Organisationen mit
kleineren oder grösseren finanziellen Beiträgen.
Mitgerissen vor allem vom Elan Christoph Blochers und Otto
Fischers, die einen fast übermenschlichen Einsatz leisten
und vor übervollen Sälen kämpfen, kommt es zu einer
eigentlichen Volksbewegung für die Wahrung der
Unabhängigkeit unseres Landes.
Was zunächst als fast unmöglich erachtet worden ist -
nämlich ein Nein zum EWR/EG-Beitritt gegen die vereinigte
Polit-"Elite" (Bundesrat, Parlament, fast alle grossen Parteien,
Wirtschaftsverbände, Internationalisten, Kulturschaffende) - zu
erkämpfen, scheint nun nicht mehr unmöglich. Komitees werden
gegründet, so beispielsweise das überparteiliche Zürcher Komitee
"gegen EWR- und EG-Diktat - für eine weltoffene Schweiz", präsidiert
von Nationalrat Ernst Cincera (FDP), Präsident des Gewerbeverbandes
der Stadt Zürich, alt Nationalrat Paul Eisenring (CVP) und
Nationalrat Ueli Maurer (SVP). Sie bekämpfen die EWR-Vorlage mit
dem Argument, sie stelle einen nicht mehr rückgängig zu machenden
Schritt Richtung EG dar. Zudem habe der Abschluss des für unser Land
unwürdigen Vertrages schwerwiegende Nachteile: höhere Zinssätze und
steigende Arbeitslosigkeit.
Am 24. Oktober sagen auch die Delegierten der SVP Schweiz
mit 289:119 deutlich Nein zum EWR/EG-Beitritt. Dies nach einem harten
Schlagabtausch zwischen Adolf Ogi, der trotz allem Herzblut scheitert,
und Christoph Blocher. Blocher überzeugt die Mehrheit mit dem Hinweis,
dass sich neben den politischen auch die wirtschaftlichen Bedingungen
für die Schweiz massiv verschlechtern würden. "Die Schweiz muss den
Mut haben, anders und besser zu sein!" ruft er den Delegierten zu.
Auch Otto Fischer mobilisiert die Leute enorm: Als "schlecht,
gefährlich, unwürdig" disqualifiziert er den EWR-Vertrag wortgewaltig
und mit klaren Fakten. Er und Blocher zitieren immer wieder, was der
Bundesrat in seinem Bericht vom 18. Mai 1992 "über einen Beitritt
der Schweiz zur Europäischen Gemeinschaft" (im Gegensatz zur heutigen
Schönrednerei zum Rahmenvertag) offen und ehrlich geschrieben hat:
"Schon bei der Abstimmung über den EWR muss jeder - ob Bürger,
Unternehmer oder Angestellter - Gewissheit haben, dass das Ziel der
schweizerischen Integrationspolitik der Beitritt zu EG ist."
Kurz vor dem 6. Dezember 1992 ist es klar: Es wird eine grosse
Stimmbeteiligung geben, und die Entscheidung wird knapp ausfallen.
Ich selbst will auch noch einen letzten Beitrag leisten, kratze per
Telefon bei Unternehmern wie Alexander Baumann (Rausch), Carl
Elsener (Victorinox), Otto Suhner (Kabelwerke Brugg), Walter Reist
(Ferag), Charles Vögele u.a. rund 150'000 Franken zusammen und
platziere mit Hilfe des Werbefachmanns Kuno Schweizer aus
Esslingen mehrere auffällige Inserate in grossen Tageszeitungen
- zum Beispiel mit dem folgenden Wortlaut:
Mit Drohungen in den EWR?
Mit massiven Drohungen wollen uns Funktionäre und Manager von
Grossunternehmen in den EWR und in die EG hineinzwängen. Warum?
Sie wollen billige ausländische Arbeitskräfte hereinholen.
Schweizerinnen und Schweizer werden dann auf der Strasse stehen.
Mehr Arbeitslose und tiefere Löhne werden die Folge sein.
Unsere Antwort: EWR NEIN!
Kurz vor der Abstimmung wendet sich Christoph Blocher mit einem
letzten Appell an die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger:
"Am 6. Dezember geht es um die zentrale Frage: Sind wir stark und
fähig genug, um unsere Lebensordnung auch in der Zukunft selbst zu
bestimmen? Oder sind wir so schwach geworden, dass wir einen
wesentlichen Teil in die Hände von Brüssel legen müssen, um
schliesslich in der EG aufzugehen? Der EWR-Vertrag trifft unsere
Unabhängigkeit, unsere Selbstbestimmung, unsere Souveränität
empfindlich, höhlt unsere Volksrechte aus, schwächt unseren
Föderalismus und gefährdet unsere Neutralität. Ein Nein zum ERW
ist darum ein Ja zur Schweiz. Es ist auch ein Signal an unsere
Politiker in Bern, die Probleme selbst an die Hand zu nehmen. Und
es ist ein Signal an Europa, dass ein Volk nicht so leicht auf
seine Selbstbestimmung und auf seine Volksrechte verzichtet."
Am Nachmittag des 6. Dezember ist die Spannung fast
unerträglich, bis endlich feststeht: Die Vorlage ist abgelehnt:
16 der 23 Kantone sagen nein. Aber wir wollen auch das Volksmehr
- als doppelte Legitimation für das Nein. Es wird knapp: Der
Vorsprung von zunächst gegen 100'000 Neinstimmen schmilzt mit der
Auszählung der grösseren welschen Städte (Lausanne, Neuenburg,
Genf) mehr und mehr. Endlich können wir aufatmen: Die Vorlage
wird mit einem Mehr von 23'836 Stimmen - mit 50,3 gegen 49,7
Prozent - abgelehnt. Dies bei einer Stimmbeteiligung von sage
und schreibe 78,7 Prozent.
Damit ist einmal mehr bewiesen: Wenn die Bürger
merken, dass es bei einer Abstimmung "um die Wurst geht", dann
mobilisiert das enorm.
Die "Lehre aus der Übung": Der aktuelle Rahmenvertrag
Schweiz-EU hätte noch gravierendere Folgen für unser Land als die
damalige Abstimmung zum EWR. Es ist unsere Pflicht, der
Bevölkerung an konkreten Beispielen aufzuzeigen, welche
Folgen der Vertrag für unser Land bringt. Wir werden gewinnen,
wenn wir den Kampf mit Herzblut und mit klaren Fakten führen.
Kämpfen heisst angreifen, die gegnerischen "Argumente"
zerpflücken, den Gegner provozieren, die eigene Botschaft
durchstossen. Etliche Politiker müssen das noch (oder wieder)
lernen.
(Fortsetzung folgt)