Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der SVP

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 22 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver Politik

Wegen dem sogenannten "Messerstecher-Inserat", zieht Bundespräsident Otto Stich (SP) die bereits erteilte Zusage, als Gastredner an der Albisgüetli-Tagung 1994 aufzutreten, nachträglich wieder zurück. Er ist von der eigenen Partei unter Druck geraten. Die Genossen sind empört darüber, dass wir ihnen im Inserat mit den Worten "Das haben wir den Linken und den ‚Netten' zu verdanken: mehr Kriminalität, mehr Drogen, mehr Angst" die Verantwortung für die katastrophalen Missstände im Bereich Sicherheit zugewiesen haben.

Das Messerstecher-Inserat, erschienen Ende Oktober 1993 im Hinblick auf die Stadtzürcher Gemeindewahlen vom Frühjahr 1994, trifft die Linke besonders empfindlich, weil wir die Kampagne mit Fakten untermauern, die sie nicht widerlegen können. Besonders in der Pflicht ist SP-Regierungsrat und Justizdirektor Moritz Leuenberger, der für den schrecklichen Mordfall Hauert in Zollikerberg eine direkte Mitverantwortung trägt (s. "Damals in der SVP", Nr. 8/2019, Seite 20/21). Otto Stich zieht somit seine Zusage für die Albisgüetli-Tagung zurück wegen eines kommunalen Inserates für die Zürcher Gemeindewahlen - ungewöhnlich für einen Bundespräsidenten, aber wahr!

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Kurzfristig muss ein würdiger Ersatz für den Bundespräsidenten gefunden werden. Die Parteispitze entscheidet, dass anstelle eines Vertreters des Bundesrates jene Instanz das letzte Wort haben soll, welche über dem Bundesrat steht - nämlich das Volk. Drei Bürger, Frauen und Männer aus dem Volk, die sich zur politischen Lage äussern, sind rasch gefunden:

Der 22-jährige Student Gregor A. Rutz (der spätere SVP-Generalsekretär und heutige Nationalrat) aus Zollikon, damals Jungfreisinniger und Präsident der Vereinigung "Für e jungs und läbigs Züri", geisselt die linken "Rotznasen", die das Maul aufreissen und noch nichts geleistet haben, und fordert, die Politik müsse jenen vielen Jungen, die sich engagieren und etwas leisten wollen, eine Chance geben.

Die Bergbäuerin Vreni Koch aus Gonten AI spricht in ihrem herrlichen Appenzeller Idiom und in wunderschöner Appenzeller Tracht zum "Jahr der Familie". Sie fordert die Männer auf, ihre Frauen bei der Erziehungsarbeit zu unterstützen. Zudem dürfe man auch die 150'000 alleinerziehenden Frauen bei ihrer schwierigen Aufgabe nicht allein lassen.

Als dritter Redner aus dem Volk wendet sich Staatsanwalt Armin Felber gegen die immer kompliziertere Rechtsprechung; er fordert die konsequente Durchsetzung der Rechtsordnung und des Strafvollzugs sowie mehr Gefängnisplätze. Ebenso verlangt er einen besseren Opfer- statt Täterschutz.

Christoph Blocher stellt seine Standortbestimmung unter das Thema "Wider die Aushöhlung der Neutralität". Ein Jahr nach dem Nein des Souveräns zum EWR/EG-Beitritt warnt er davor, dass die classe politique nun versuche, unser Land über die Aushöhlung der Neutralität in die EG zu führen. Die 1250 Besucherinnen und Besucher im bis auf den letzten Platz gefüllten Albisgüetli sind einmal mehr begeistert.

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Kurz nach dem "Donnerschlag" mit dem Messerstecher-Inserat gehen die Wogen erneut hoch: Im Januar 1994 setzen wir die Kampagne gegen die zunehmende Kriminalität fort. Wiederum mit der Aussage: "Das haben wir den Linken und den ‚Netten' zu verdanken: Mehr Kriminalität."

Zuerst nennt das Inserat die Missstände beim Namen: "Hier das schreckliche Resultat einer falschen Politik. Da fahren Schwerverbrecher unbewacht in den Urlaub. Kriminelle werden laufengelassen. Hausbesetzer werden umarmt. Drogen werden gratis abgegeben. Drogendealer verstecken sind hinter dem Asylrecht und richten unsere Jugendlichen zugrunde. (…) Raubüberfälle und Drogenkriminalität gehören zum Alltag. Da haben doch die Linksparteien und die ‚netten' Politiker die Strafverfolgung unterlaufen, die Rechtsprechung und den Strafvollzug aufgeweicht. Sie haben sich mehr für die Täter als für die Sicherheit des Bürgers eingesetzt, den Staatsschutz abgeschafft und die Gefängnisbauten verhindert. (…). Zum Glück gibt es eine Alternative: Mehr SVP - mehr Sicherheit."

Das Inserat zeigt zudem zwei Grafiken, welche die rasante Zunahme der Kriminalität in den Bereichen Raubüberfälle und Delikte gegen Leib und Leben illustrieren. Ohne dass wir es realisiert haben, sind die richtigen Zahlen vom Grafiker an einen Computerspezialisten per Fax korrekt übermittelt - dann aber fehlerhaft in die Grafik umgesetzt worden, sodass die eine Kurve etwas steiler noch oben zeigt, als es tatsächlich der Fall ist.

Kaum ist das Inserat erschienen, geht ein Huronengebrüll durch die Medien- und Parteienlandschaft. Man wirft uns die absichtliche Verzerrung und Verfälschung der Situation vor, was natürlich ein Unsinn ist. Aber für unsere politischen Gegner und fast die ganze Medienwelt ist das Ganze ein gefundenes Fressen, dessen Wirkung nach unserem Eingeständnis des Fehlers und nach unserer Richtigstellung aber bald wieder abflaut.

Aber das Ereignis hat auch noch eine positive Wirkung: Kaum ist das Inserat erschienen, ruft mich am nächsten Morgen in aller Frühe ein Tagesanzeiger-Journalist an und konfrontiert mich völlig Ahnungslosen mit dem Fehler und dem Vorwurf, wir hätten das Inserat aus politischem Kalkül absichtlich verfälscht. Selbstverständlich dementiere ich jegliche Absicht und bemerke nebenbei - halb im Spass, halb im Ernst: "Möglicherweise ist die richtige Kurve bei der Fax-Übertragung verzerrt worden." Diese wohl nicht sehr intelligente Erklärung trägt mir und der Partei natürlich sofort etliche hämische Kommentare ein - aber immerhin mit einer positiven Seite: Die Firma IBM schenkt uns den damals modernsten und teuersten Fax, "damit solche Fehler nicht mehr passieren".

(Fortsetzung folgt)

Hans Fehr