Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau
Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015
Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant
Teil 30 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver PolitikIm April 1995 tritt der legendäre Regierungsrat und Erziehungsdirektor
Alfred Gilgen nach 24-jähriger Tätigkeit zurück. Er hat während
vieler Jahre dem Landesring angehört, hat diesen aber noch
vor der Wiederwahl 1991 verlassen - weil der LdU immer mehr nach
links und zur "Wischiwaschi-Partei" abgedriftet ist. Gilgen war - das darf man ohne Übertreibung sagen - eine prägende Persönlichkeit von staatsmännischem Format - ein mutiger, überlegener, scharfzüngiger bürgerlicher Magistrat, der enorm viel geleistet hat. Er hatte grosses Gewicht in der Regierung und war aufgrund seiner Gradlinigkeit auch bei seinen Gegner geachtet. Zudem war er ein positiver Reformer im Erziehungswesen(was man - ich greife hier etwas vor - von seinen Nachfolgern mit ihren zum Teil abenteuerlichen Schulexperimenten nicht lückenlos behaupten kann).
Bereits im Sommer 1971, kurz nach seinem Amtsantritt, hatte
Erziehungsdirektor Gilgen von sich reden gemacht: Ich war mit meiner
OS-Klasse an einer Übung im Reppischtal, als uns unser Klassenlehrer,
Hauptmann im Generalstab Hansruedi Ostertag (der spätere Divisionär)
sagte: "Gilgen hat Mut. Er hat soeben die Universität Zürich bis auf
weiteres geschlossen." Während andere Würdenträger wie die Maus vor der
Schlange ängstlich auf die Provokationen und Gewaltakte der Neuen Linken
im Gefolge der 68er "Bewegten" starrten, hat Gilgen rasch und mutig
gehandelt. Und dies hat er in all seinen Funktionen bis zu seinem Tod
getan - und sich damit grossen Respekt erworben. Legendär war sein
Ausspruch, ein Teil seines Lohnes als Regierungsrat sei als
"Schafseckelzulage" zu betrachten, weil man in dieser Funktion
damit leben müsse, für andere Blitzableiter, Sündenbock und Schwarzer
Peter im Multipack zu sein.
Typisch für Alfred Gilgen ist auch das folgende Ereignis: Als er
eines Morgens ins Büro seiner Sekretärin trat, hatte diese an der Wand
den Spruch aufgehängt "Wo gschaffet wird, passiered Fehler." Darauf
sagte er zu ihr: " Nehmen Sie diese Spruch rasch wieder weg!" Als sie
erwiderte: "Aber Herr Regierungsrat, er stimmt doch!" antwortete er:
"Ja, er stimmt, aber wenn das Ihr Leitsatz ist, dann kommt es nicht
gut heraus."
Auch militärisch hat Alfred Gilgen überzeugt. Ein kleines
Stimmungsbild auf früheren Zeiten: Die Gesamtverteidigungsübung Dreizack
vom 6. bis 16. November 1989 hat es in sich. Ich habe mit meiner
Korpsstabskompanie den Betrieb und die Sicherheit der höheren Stäbe
in drei Ablösungen rund um die Uhr zu gewährleisten. Intensiv geübt
wird die Zusammenarbeit Militär-zivil. Militärischer Übungsleiter ist
Korpskommandant Josef Feldmann ("Pater Josef"). Beteiligt sind der
Stab Feldarmeekorps 4 mit der Felddivision 7 und der Mechanisierten
Division 11 sowie die Grenzbrigaden 7 und 8. Für die Übungsleitung
"zivil" mit etwa 20'000 Teilnehmern (kantonale Führungsstäbe/Kantonsregierungen,
Gemeindeführungsstäbe, Teile der kantonalen Zivilschutzorganisationen
und Ortsleitungen) zeichnet Regierungsrat und Generalstabsoberst
Alfred Gilgen verantwortlich.
An der Übungsbesprechung in der riesigen Halle "Rüegersholz" in
Frauenfeld mit allen Kadern der beübten Verbände, umrahmt vom Armeespiel,
präsentiert Gilgen als ziviler Gesamtleiter eine messerscharfe "Bilanz
in elf Punkten" - wie man es von ihm gewohnt ist. Sein einleitender
Ausspruch bei Übungsbesprechungen, Analysen und Lagebeurteilungen lautet
stets: "Ich habe drei Punkte" oder "Ich habe fünf Punkte" - und seine
"Punkte" sind stets unanfechtbar. Leider ist Alfred Gilgen am 12.
Februar 2018 gestorben; er wird allen, die ihn gekannt haben,
unvergesslich bleiben.
In der Folge nimmt das Wahljahr 1995 seinen Lauf. Weil die
Beziehungen Schweiz-EU und die schweizerische Selbstbestimmung
(siehe auch "Damals …" in der "Schweizerzeit" Nr. 16) weiterhin -
und bis auf den heutigen Tag - das zentrale Thema sind, laden wir für
die kantonale Delegiertenversammlung vom 23. Juni als Hauptredner
einen Mann ein, auf den wir in den Medien aufmerksam geworden sind:
Professor Dr. Erich Weede, Professor für Soziologie an der Universität
Köln. Sein Thema, das gar nicht an einen der üblichen linkslastigen
Vertreter aus der "Soziologenzunft" erinnert, lautet: "Verschiedenheit
und Recht und Freiheit: Kritische Anmerkungen zur Europäischen Union".
Scharfzüngig und brillant vergleicht Weede die Entwicklung der grossflächigen, absolut regierten Hochkulturen Asiens mit derjenigen des in kleine Staaten aufgesplitterten Westeuropa. Die Fortschritte in Europa sind laut Weede seit dem Mittelalter massgeblich auf die Aufteilung der politischen Macht zurückzuführen. Die Verschiedenheit und die Konkurrenz der einzelnen Staaten habe die Macht der Territorialherren beschränkt. Sonst mussten sie die Abwanderung von Teilen der Bevölkerung, von Talenten und Kapital, in freiheitlichere Staaten in Kauf nehmen. Im Unterschied zu den Grossreichen Asiens mussten die europäischen Herrscher ihren Völkern deshalb relativ grosse Eigentums- und Freiheitsrechte zugestehen - dies war zugleich Grundlage für einen freien Markt und für Wohlstand. Weede: "Die Verschiedenheit und Konkurrenz der Systeme hat als eigentlicher Motor für Freiheit, Wohlstand und Frieden gewirkt." Genau gegenteilig dazu wirke die politische Zentralisierung und Gleichschaltung in der Europäischen Union.
Hart ins Gericht geht Professor Weede mit der (damals)
angestrebten Europäischen Währungsunion, die in Anbetracht riesiger
Staatsverschuldungen (Beispiel Belgien - heute gibt es andere Spitzenreiter)
auf eine "Weichwährung" hinauslaufe. Mit Blick auf die Schweiz stellt
Weede fest: "Niemand kann von der Schweiz verlangen, dass sie der EU
beitritt, nur um die selbstzerstörerischen Tendenzen in ihrer Nachbarschaft
zu bekämpfen. Die Schweiz kann Europa einen besseren Dienst ausserhalb
der EU erweisen - durch Ihr Modell bürgernaher, dezentralisierter
politischer Entscheidungsfindung und einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung!"
Wahre, prophetische Worte, die leider in unserem Land immer noch nicht alle
begriffen haben.
(Fortsetzung folgt)