Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der SVP

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 39 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver Politik

Am 8. Juni 1996 führen wir einmal mehr eine Arbeitstagung durch, diesmal zum Thema „Gesundheitswesen – wie weiter?“, zu der wie üblich alle interessierten Parteimitglieder eingeladen sind. Dieser Basisbezug ist äusserst wichtig, sonst wäre die SVP keine Volkspartei. Unsere Basis wird im Unterschied zu Parteien, sie sich elitär wähnen, ernst genommen und liefern immer wieder gute, praxistaugliche Ideen für die politische Arbeit der Kantonalpartei.

Die Tagung wird geleitet von Kantonsrat Rudolf Ackeret aus Bassersdorf, dem bewährten Präsidenten unserer Programmkommission, und von Nationalrat Toni Bortoluzzi, der als Schreinerei-Inhaber im Parlament bereits eine wichtige Stimme in der Gesundheitspolitik ist und sich während 24 Jahren in diesem Bereich zur Kapazität unter der Bundeshauskuppel entwickelt. Leider ist die Lücke, die er mit seinem Rücktritt im Jahre 2015 hinterlassen hat, noch nicht ganz ausgefüllt – aber die Hoffnung auf eine würdige Nachfolge stirbt zuletzt.

Kernthema der Tagung: Wir bekommen wir das Prämienwachstum in den Griff? Wieviel Markt und wieviel Grundversorgung  braucht es? Wie senken wir die Spitalkosten? Das Fazit der Tagung lautet: „Mehr Markt, mehr Wettbewerb, mehr Eigenverantwortung und weniger Sozialismus im Gesundheitswesen!“ Wir sind inzwischen auf diesem Weg einige Schritte vorwärts gekommen. Die Mitte-links-Mehrheiten im Parlament, die das Gegenteil wollen, nämlich eine weitgehende Verstaatlichung des Gesundheitswesens, haben sich aber leider da und dort durchgesetzt. Darum ist das Thema heute wieder hochaktuell, denn die Prämienlast ist für viele Familien fast untragbar geworden.

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„Rot-grüne Politik vernichtet Arbeitsplätze“: Unter diesem Titel (er könnte von heute stammen), feuert der schweizerische Parteipräsident Ueli Maurer Mitte 1996 eine Breitseite gegen die Linke ab. „Wir stossen mit den Lasten unseres Sozialstaates an die Grenzen der Finanzierbarkeit“ warnt er die Genossen, welche den Ausbau des Sozialstaates immer weiter vorantreiben wollen. „Auch wenn Ausdrücke wie Wirtschaftswachstum, Risikokapital oder Innovation heute zum Vokabular jedes Edelsozialisten gehören, verhält sich die politische Linke im Alltag völlig anders“, stellt Maurer fest. Man fordere die Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta, die Einführung einer nationalen Kinderzulage, die Mutterschaftsversicherung (als wäre Mutterschaft eine Krankheit) und die Senkung des Rentenaltern.

Noch weitergehende (heute aktuelle) rot-grüne Forderungen, u.a. nach einer 24- oder gar 36- wöchigen „Elternzeit“, hätte sich Maurer damals sicher nicht träumen lassen. Auch dass die Massenzuwanderung in unser Sozialsystem dereinst ein Kernproblem darstellen würde, konnte er damals noch nicht wissen. Ebenso wenig konnte er wissen, dass das Schweizervolk im Jahre 2020 (am kommenden 17. Mai) über die „Begrenzungsinitiative“ abstimmen würde. Heute ist es klar: Die eigenständige Regelung der Zuwanderung ist ein absolutes Muss, sonst sind wir in Kürze eine 10 Millionen-Schweiz mit gewaltigen Problemen.

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Im Juli 1996 fordert unser Nationalrat Werner Vetterli, der Sport und die Sportpolitik müssten in unserem Land einen viel höheren Stellenwert bekommen – wir dürften nicht länger ein „Sportstätten-Entwicklungsland“ sein. Das Motto von Baron Pierre de Coubertin, Begründer der modernen Olympischen Spiele – „schneller, höher, weiter“ – sei im Zeitalter der Rekorde, der Tausendstelsekunden und der TV-Top-Highlights überholt. In Anbetracht der Mega-Sport-Show von Atlanta (Sommerolympiade 1996) müsse das Motto lauten: „gigantischer, perfekter, gewinnträchtiger“.

Mit mehr als einem Dutzend Top-Sortanlässen (Leichtathletik Weltklasse Zürich, Athletissima Lausanne, Lauberhornrennen, Rotsee-Regatta, Reitsportveranstaltungen in St. Gallen, Zürich und Genf, Tennisweltklasse in Basel, Gstaad und Zürich, Golf-Masters in Crans-Montana, Spengler-Cup, Tour de Suisse) sei die Schweiz im internationalen Vergleich zwar gut dotiert. – „Aber die Konkurrenz schläft nicht. Überall im Ausland ist man am Planen und am Bauen.“ Unsere Stadien und ihre Infrastruktur seien hoffnungslos veraltet – für unser Land blamabel, für die Athleten, Betreuer und Medien eine Zumutung. Vetterlis Forderung: „Wir brauchen dringend ein nationales Stadion mit 35‘000 Sitzplätzen für Fussball und Leichtathletik, zwei polysportive Stadien mit 25‘000 Plätzen, eine Wettkampf- und Veranstaltungshalle mit über 10‘000 Sitzplätzen, weitere polysportive Trainingszentren und -hallen sowie Zentren für Radrennen und Tennis, eine Kunsteis-Rundbahn und ein nationales Schwimmsportzentrum.“

Natürlich wirft Vetterli  den Ball etwas gar weit. Aber er darf das auch. Denn er ist auch in Sportkreisen bestens bekannt als aktiver Sportler und grosser Förderer des Gesundheits- und Breitensports. Vetterli hat rund 20 Schweizermeistertitel im Modernen Fünfkampf, im Wintermehrkampf und im Schwimmen gewonnen. 1954 war er Vizeweltmeister im Modernen Fünfkampf. Inzwischen sind immerhin einige seiner Forderungen in Planung oder bereits erfüllt worden.

Unvergesslich In Erinnerung bleibt mir Werner Vetterli auch als guter und äusserst gewissenhafter Kollege im Parlament. Er hat sich jeweils während drei Wochen vor Beginn der Sessionen abgenabelt und war kaum erreichbar. „Ich muss mich in alle Unterlagen, Berichte und Anträge für die Session ‚einlesen‘ – melde Dich wieder, wenn die Session vorbei ist“, lautete seine Antwort. Dazu machte er sich umfangreiche Notizen und wurde so zu unserem wandelnden Lexikon. Dass er dabei vor lauter Bäumen manchmal den Wald nicht mehr sah – und dass er Kollegen abkanzelte, die es mit der Präsenz im Rat nicht so genau nahmen wie er selbst – hat man ihm gerne verziehen.

Eine weitere „Vetterli-Spezialität“ war die folgende: Er war unter der Bundeshauskuppel der bestinformierte Kollege zur Frage: „Wer von den Kollegen und Kolleginnen hat etwas (ein Verhältnis, engere Beziehungen) mit wem?“ Alles, was Werner Vetterli im kleinen Kreis über dieses Thema zum Besten gab, hat sich als richtig erwiesen.

Ein spezieller „Möchtegerne-Schürzenjäger“ war ein Parlamentarier aus der Ostschweiz. Er versuchte mehrfach, attraktive Frauen „anzubaggern“. So fiel ihm eines Tages eine attraktive Frau auf der Besuchertribüne auf. Als er sie in der Wandelhalle ansprach, stellte sie sich vor als „Frau Frey, die Frau von Nationalrat Walter Frey“. Der betreffende Nationalrat war völlig verblüfft und schlich sich unter einem Vorwand rasch von dannen.

(Fortsetzung folgt)



Hans Fehr