Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der SVP

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 49 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver Politik

Die bereits erwähnte Rede von Christoph Blocher vom 21. Juni 1997 im Berner Kursaal zum Thema „Die Schweiz und der Eizenstat-Bericht“ (SZ Nr. 11/2020) war auch darum von grösster Bedeutung, weil sie den Angriff  auf unsere angeblich „unmoralische Neutralität“ im Zeiten Weltkrieg überzeugend gekontert hat.

Blochers Kernargumente aus dieser historischen Rede lauten wie folgt:

Bewaffnete Neutralität: Dass es sich bei der Schweizerischen Neutralität um eine bewaffnete Neutralität handelte, die von 800‘000 Wehrmännern verteidigt wurde, erwähnt der amerikanische Staatssekretär Stuart Eizenstat mit keinem Wort. Er übersieht, dass dies keine momentane, opportunistische Haltung im Zweiten Weltkrieg war, sondern eine historische und völkerrechtlich fundierte Staatsmaxime, die im 16. Jahrhundert nach Marignano begann, seit dem Dreissigjährigen Krieg (1618-48) eingehalten wurde und seit dem Wiener Kongress von 1815 integrierender Bestandteil des internationalen Völkerrechts ist.

Nicht-Beteiligung am Krieg als „Fehler“? Heute wird der Schweiz geradezu als Fehler vorgeworfen, dass sie sich nicht am Krieg beteiligt habe. Bei allem Respekt vor der gewaltigen Leistung der USA und der Alliierten bei der Befreiung Europas dürfen wir nicht vergessen: Die USA waren nach dem Ersten Weltkrieg massgebliche Vordenker des verhängnisvollen Versailler Vertrags, der dem späteren europäischen Kriegsgeschehen den Boden bereitet hat. Selbst nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führten die USA eine Politik der „Nichtkriegsführung“. Hätten die Japaner am 7.12.1941 nicht Pearl Harbor angegriffen, so wären die mächtigen USA dem Krieg wohl ebenfalls ferngeblieben. Umgekehrt wäre die Schweiz im Fall eines deutschen Angriffs genauso wie die Vereinigten Staaten in den Krieg eingetreten.

Weltgebrauch der Neutralität: Die neutrale Schweiz war für alle vom Krieg heimgesuchten Völker da. Sie übernahm freiwillig unzählige humanitäre Aktionen und vertrat als Schutzmacht 43 Staaten, welche vier Fünftel der Erdbevölkerung ausmachten. Ohne Neutralität wäre all dies undenkbar gewesen. Auch die Vereinigten Staaten haben unsere Neutralität während des Zweiten Weltkrieges noch durchaus zu schätzen gewusst. Sie betrauten unser Land mit der Wahrnehmung ihrer diplomatischen Interessen gegenüber Deutschland und elf weiteren Feindstaaten. Ebenso vertrauten die USA der Schweiz die weltweite Betreuung ihrer Kriegsgefangenen an. Und sie betrieben auf sicherem Schweizer Boden sogar ihr weitverzweigtes europäisches Spionagenetz. Und nun verunglimpft ein amerikanischer Staatssekretär unsere Neutralität als „unmoralisch“!

Die Neutralität erklären: Es gab und gibt immer Leute – ausserhalb aber auch innerhalb unseres Landes – welche die Neutralität ablehnen. Beim Schweizervolk ist die Neutralitätsidee tief verankert, nicht aber bei unseren Politikern, unserer Regierung und bei einigen hohen Militärs. Diese Kreise finden sie eine „zu simple“ Antwort auf die zunehmend „komplexe, vernetzte, globalisierte Welt“. Dahinter steckt aber wohl eher Unüberlegtheit, Unfähigkeit, Bequemlichkeit, aber auch Grossmannssucht. „Es gehört Heroismus dazu, sich auf einer so unruhigen Weltkugel so wenig wie möglich zu bewegen“, zitierte Professor von Salis den Ausspruch eines französischen Schriftstellers über die Schweiz. Die Neutralität zwingt uns, diese Staatsmaxime im Ausland immer wieder zu erklären.

Unkenntnis der Geschichte: Die steife Bise, die uns aus den USA entgegenbläst, beruht zu einem guten Teil auf Unkenntnis der Geschichte und der politischen Eigenart unseres Landes. Es rächt sich heute, dass unsere Aussenpolitik über Jahre wie gebannt nach Brüssel gestarrt und sich vollkommen auf die europäischen Beziehungen fixiert hat. Es gilt heute wieder einmal aufzuzeigen, dass die Schweiz ein föderalistisch aufgebauter Zusammenschluss ehemals weitgehend souveräner Kantone ist. Unsere Bund wird (…) einzig durch die gemeinsam durchlebte Geschichte zusammengehalten. Im Zentrum Europas gelegen, musste sich die Schweiz schon in der Vergangenheit, wenn sie ihre Existenz als Kleinstaat wahren wollte, strikte aus fremden Händeln herauszuhalten. Das Verständnis für die Neutralität muss – besonders in Konfliktfällen – dauernd neu errungen werden. Denn der Neutrale steht immer zwischen den Fronten. Beide Seiten begegnen ihm mit Misstrauen.

Unser Schweizer Standpunkt: Der Schweizer Dichter Carl Spitteler hat in seiner berühmten Rede „Der Schweizer Standpunkt“ gesagt: „Wir müssen uns eben die Tatsache vor Augen halten, dass im Grunde kein Angehöriger einer kriegführenden Nation eine neutrale Gesinnung als berechtigt empfindet. Wir wirken auf ihn wie der Gleichgültige in einem Trauerhaus. Da erregt schon unser blosses Dasein Anstoss. Anfänglich wirkt es unangenehm befremdend, allmählich die Geduld reizend, schliesslich widerwärtig, verletzend und beleidigend.“ Spitteler sagte dies im Dezember 1914! Diese Worte gelten auch für den Zweiten Weltkrieg, und sie gelten auch für heute. Fast kommt uns vor, als meine Spitteler einen amerikanischen Staatssekretär der letzten Monate, wenn er von Stimmen und Schriften spricht, die sich vom Ausland her an uns richten, „meist überlaut, öfters im Kommandoton, mitunter geradezu furibund.“ Desgleichen verfehle das Ziel. „Haben denn die Herren die Fühlhörner verloren, dass sie nicht mehr spüren, wie man zu andern Völkern spricht und nicht spricht?

Nachdem man in Bundesbern wieder mit einem Beitritt der Schweiz zum Uno-Sicherheitsrat liebäugelt, müssten sich gewisse Damen und Herren wieder einmal das besondere Wesen unserer Neutralität zu eigen machen. Dass wir im Sicherheitsrat letztlich über Krieg und Frieden mitentscheiden müssten würde unserer Neutralität krass widersprechen.

Kasten, im Text mit Bild von Schaffner integrieren:

Alt Bundesrat Hans Schaffner, damals 88-jährig, hat während des Zweiten Weltkrieges die Zentralstelle für Kriegswirtschaft geleitet. Er äusserte sich im „Blick“ vom 15.7.1997 wie folgt zu den Angriffen auf die Schweiz: „Seid ums Himmelswillen etwas selbstbewusster. Es gilt nur eines: Das Völkerrecht und die Neutralitätspolitik. Und da haben wir uns nicht das Geringste vorzuwerfen. Hört auf, nach Amerika zu wallfahrten – und sprecht nur mit einer Stimme. Die schmalbrüstigen Enkel von heute können noch viel von den Verantwortlichen von damals lernen, was es heisst, gerade zu stehen. Dass in der Flüchtlingspolitik Fehler gemacht wurden, steht schon im hervorragenden Ludwig-Bericht von 1957. Ich wiederhole gerne einen Satz, den ich 1946 geschrieben habe: Wenn es der Schweiz in ihrem Durchhalte- und Daseinskampf gelang, Krieg und Okkupation, Hunger und Not von unseren Grenzen fernzuhalten, so hat sie damit nicht nur sich selber, sondern auch Europa und seinem Wiederaufbau einen Dienst erwiesen.“

(Fortsetzung folgt)



Hans Fehr