Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau
Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015
Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant
Teil 8 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver PolitikNach den eidgenössischen Wahlen 1987 geht die Politik, auch
parteiintern, unverzüglich weiter. Wir laden wieder zu
Arbeitstagungen ein, zunächst zu einer Gewerbetagung ins
"Doktorhaus" Wallisellen zu den Themen "Verkehrs- und
Transportprobleme aus gewerblicher Sicht", "Gewerbe und
Bodenrecht" sowie "Wirtschaft und Umwelt: marktgerechte
Rahmenbedingungen schaffen". Diese Tagungen, zu denen alle
Interessierten eingeladen sind, liefern praxistaugliche
Grundlagen für unsere Politik. Auch Intensivkurse wie das
Redetraining mit dem bewährten Kurt Wittwer, Vorstandsmitglied
der SVP Volketswil und Inhaber eines Schulungs- und
Beratungsunternehmens, werden rege benützt.
Meine Frau, teilzeitlich als Journalistin tätig, schreibt damals
regelmässig auch die Kolumne "Es Glesli Chlevner mit …" für unser
Parteiorgan "Der Zürcher Bote". Im Gespräch mit verschiedenen Leuten
gelingt es ihr immer wieder, neben Politischem auch Überraschendes und
Persönliches aus ihnen "herauszuholen". So offenbart der magistral-
zurückhaltende Jakob Stucki, dass auf seinem Nachttischen das Buch
"Am Fuss der Blauen Berge" liege und dass er vor dem Einschlafen oft
darin lese. Christoph Blocher meint darauf: "Wer einem Jakob Stucki
ein solches "Geständnis" entlocken kann, muss eine ganz besondere
Begabung haben."
Als aufsteigender Stern am SVP-Polithimmel wird auch der damalige
Gemeindepräsident, Kantonsrat und Schreinereiinhaber Toni Bortoluzzi
im "Glesli Chlevner" portraitiert. Seine vielfältigen Tätigkeiten
seien nur möglich, "weil ich mit Kathrin eine sehr liebe und tüchtige
Frau habe, aber das kann man wohl nicht einfach so schreiben." Sie
besorge die ganze Buchhaltung und die Sekretariatsarbeiten, und das
neben einem Haushalt mit vier Kindern im Alter von zwei bis siebzehn
Jahren. Sein leidenschaftliches Hobbv sei die Politik.
Doch dann eröffnet Bortoluzzi im "Glesli Chlevner-Gespräch", dass er auch
gerne philosophische Schriften lese, denn "Lessing und andere Grössen
eröffnen mir neue Wege und Einsichten bei der Beurteilung menschlicher
Geschicke und politischer Zusammenhänge." So hat Bortoluzzi auch seine
Haltung zum linken Programm "noch mehr Sozialstaat Schweiz" gewonnen:
"Zu viel Sozialstaat wirft alle in denselben Topf und entbindet den
Einzelnen von der Verantwortung, aber auch von der Freude, etwas Besonderes
und Eigenständiges geleistet zu haben. Unnötige Schutzzäune und Mauern
machen den Menschen unmündig und liefern ihn erst recht der Gefahr aus,
zu straucheln oder zu fallen."
Genau diese Einsichten und Äusserungen tragen wohl massgeblich dazu bei,
dass Toni Bortoluzzi 1991 (zusammen mit Ueli Maurer, Max Binder und
Lisbeth Fehr) in den Nationalrat gewählt wird. Dort setzt er dann seine
"Philosophie" vor allem in der Gesundheits- und Sozialpolitik während
24 Jahren tatkräftig und erfolgreich um. Unglaublich, was ein "Glesli
Chlevner" zustande bringt …
Hart umkämpft ist gegen Ende 1987 die Volksinitiative "zum Schutz der Moore"
kurz "Rothenthurm-Initiative" genannt. In der SVP ist das Nein zur Initiative
jedoch eine klare Sache. Sie wird von den Delegierten mit grossem Mehr bachab
geschickt. Der legendäre und kernige Berner Nationalrat Fritz Hari hat die
Initiative zuvor mit flammenden Worten verurteilt: "Es ist doch beschämend, dass
unsere Armee jeden Quadratmeter Boden, den sie zu Übungszwecken braucht,
zusammenbetteln muss. Ich zitiere unseren hochverehrten, im Jahre 1955
verstorbenen Bundesrat Rudolf Minger: Ein Volk, das die nötige Kraft und den
Opfergeist für die Verteidigung seines Landes nicht mehr aufbringt, darf im
Kriegsfall keinen Anspruch erheben, verschont zu werden.
Dennoch wird die Rothenthurm-Initiative am 6. Dezember 1987 mit
überraschenden 57,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Ein Kommentator meint dazu:
"Dieses Resultat ist wohl in erster Linie als ökologisches Engagement zu
werten und nicht als Demonstration gegen die Armee. Dass die vom EMD
projektierte Lösung die Forderungen des Landschaftsschutzes mit den
Bedürfnissen der Armee in Einklang bringe, hat die Mehrheit
offensichtlich nicht geglaubt."
Am 9. Dezember 1987 finden die mit Spannung erwarteten Gesamterneuerungswahlen
des Bundesrates statt. Für die Nachfolge von Leon Schlumpf tritt die SVP mit
Adolf Ogi an. Er hat sich in der parteiinternen Ausmarchung gegen die
Nationalräte Hans-Rudolf Nebiker (BL) und Ulrich Siegrist (AG) sowie
den Bündner Ständerat Ulrich Gadient durchgesetzt.
Die fünf Bisherigen - Otto Stich, Jean-Pascal Delamuraz, Elisabeth Kopp,
Arnold Koller und Flavio Cotti - werden bestätigt. Und soeben ist auch
die Neuwahl des Neuenburger René Felber (SP) problemlos über die Bühne
gegangen. Nun werden die Stimmzettel für den SVP-Kandidaten ausgeteilt.
Für die meisten ist es klar: Ogi wird die Wahl im ersten Wahlgang
schaffen. Umso mehr gibt es viele ungläubige, ratlose Gesichter, oder
es wird vornehme Gelassenheit markiert, als Ratspräsident Rudolf
Reichling mit der "klaren, tragenden Stimme eines Artillerieobersten"
(Hans-Rudolf Nebiker) erklärt, dass keiner der Kandidaten das absolute
Mehr erreicht habe. 114 Stimmen gibt es für Ogi, 43 für Nebiker, 33 für
Gadient, und 31 für Siegrist. Jedermann wird klar, dass bei diesem Wahlgang
die fraktionsintern unterlegene Konkurrenz wacker mitgepunktet hat.
Wohin wird nun der entscheidende Stimmenzuwachs gehen? Der zweite Wahlgang
geht über die Bühne. Die Spannung steigt, als Reichling zu sprechen anhebt
: " … absolutes Mehr 121. Gewählt ist mit 132 Stimmen Adolf Ogi."
Erleichterung und Jubel.
Bei der anschliessenden Feier im Saal des Bürgerhauses stellt
SVP-Vizepräsidentin Christine Ungricht fest, im ersten Wahlgang seien
"klare föderalistische Positionen" bezogen worden, was auch richtig sei.
"Jetzt geht es aber darum, die Reihen zu schliessen." Und Nationalrat
Konrad Basler meint: "Diese Wahl sitzt. Dölf Ogi hat manchen Ausstich
bestehen müssen - in seiner Kantonalpartei, in unserer Fraktion und
nun in der Vereinigten Bundesversammlung. Dölf ist einer von uns, der
dem Bürger nahe steht. Ich freue mich auf einen jungen Bundesrat, der
belastbar und voller Tatendrang ist."
Basler täuscht sich nicht. Adolf Ogi bleibt bekanntlich bis Ende 2000
im Amt und zeichnet sich durch Charisma und Bürgernähe aus. Zunächst
als Vorsteher des Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartementes (wo
er neben seinem gewaltigen Einsatz für die NEAT auch das unvergessliche
energiesparende Eiersieden demonstriert), dann als Chef EMD/VBS, wo
er leider mit Inbrunst für das neutralitätswidrige Konzept "Sicherheit
durch Kooperation" und die "NATO-Partnerschaft für den Frieden" eintritt
und sich für den Kosovo-Einsatz von Schweizer Soldaten stark macht.
Echte Differenzen mit der Partei gibt es vor allem ab den frühen 90er
Jahren, als sich Ogi für den EWR-Beitritt stark macht.
Allerdings ist Adolf Ogi - im Unterschied zu heutigen Bundesräten und
Politikern - ehrlich. Er sagt klar und deutlich, die EWR-Mitgliedschaft
sei lediglich das "Trainingslager" für den EU-Beitritt. Und am 18. Mai
1992 sorgt er mit seiner Stimme dafür, dass der Bundesrat mit einer
4:3 Mehrheit beschliesst, in Brüssel ein Gesuch zur Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen einzureichen. Am 20. Mai übergibt Benedikt
von Tscharner, der schweizerische EU-Botschafter, das Gesuch an die
EU-Präsidentschaft.
Damit trägt Ogi ein halbes Jahr vor der EWR-Abstimmung wohl entscheidend
dazu bei, dass der EWR-Beitritt am 6.12.1992 abgelehnt wird. Ob bewusst
oder unbewusst, das bleibe dahingestellt. Für seine ehrliche Haltung
auch in dieser für unser Land absolut zentralen Frage verdient er auf
jeden Fall Anerkennung und Respekt.
(Fortsetzung folgt)