Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau
Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015
Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission
Meine Beiträge 2016-2017im Oktober 2017
"Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland", das wohl bekannteste
Gedicht Theodor Fontanes (1819-1898), erzählt die wahre Geschichte eines
warmherzigen und kinderliebenden Schlossherrn. Die eigentliche Botschaft
ist jedoch viel tiefgründiger und kann auch politisch gedeutet werden.
250 Gedichte hat Fontane, einer der berühmtesten deutschen Schriftsteller
und der wohl bedeutendste Vertreter des deutschen Realismus verfasst,
beispielsweise Die Brücke am Tay, John Maynard, Gorm Grymme
oder Archibald Douglas. Besonders bekannt sind auch seine Bücher
Archibald Douglas"Effi Briest", "Irrungen, Wirrungen", "Wanderungen
durch die Mark Brandenburg" oder "Der Stechlin".
Geboren 1819 im brandenburgischen Neuruppin, gestorben 1898 in Berlin,
arbeitete Fontane (wie sein Vater) bis 1849 als Apotheker und erhielt
sogar den Titel "Apotheker 1. Klasse". Erst mit 30 Jahren wurde er
freier Schriftsteller.
Das Gedicht, genauer die Kunstballade, formal und
inhaltlich ein Meisterwerk, wurde 1889 publiziert und hat den folgenden Wortlaut:
Realer Hintergrund
"Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland" hat einen realen Hintergrund
in der Person von Hans Georg von Ribbeck (1689-1759). Aus der Grabesgruft
derer von Ribbeck wuchs seinerzeit tatsächlich ein Birnbaum, bis dieser
am 20. Februar 1911 einem Sturm zum Opfer fiel. Der Stumpf dieses Baumes
steht noch heute in der Dorfkirche von Ribbeck im Landkreis Havelland.
Das heutige stattliche Schloss Ribbeck wurde 1893 mit neubarocken Formen
im Nauener Ortsteil Ribbeck im Landkreis Havelland/Brandenburg errichtet.
Es ist heute als Museum zum Leben und Werk von Theodor Fontane eingerichtet
und dient zugleich als Standesamt, Restaurant und Parkcafé. Vor diesem
Bau stand seit 1822 an gleicher Stelle ein Landhaus, und noch früher ein
Herrschaftshaus - das herrschaftliche Anwesen derer von Ribbeck.
Die Botschaft des Gedichtes
Vordergründig ist die Sache klar: Der alte Schlossherr von Ribbeck ist
ein guter und kinderliebender Mensch. Wenn im Herbst die Birnen im Schlossgarten
reif sind, verteilt er diese an die Schulkinder. Weil er aber weiss,
dass sein Sohn ein Geizhals ist und sich von der Umgebung abschottet,
verlangt er kurz vor seinem nahenden Tod, dass eine Birne in sein Grab
gelegt wird. Und in der Tat: Nach Jahren wächst aus der Familiengruft
ein Birnbaum, an dem sich nun die Schulkinder auch nach dem Tod des
Schlossherrn bedienen können. Der Birnensegen für die Kinder überdauert
den Tod des Schlossherrn und siegt über den Geiz des Sohnes.
Etwas tiefgründiger lässt sich die Botschaft Fontanes wie folgt
formulieren: Die Zeiten, die Lebensumstände ändern sich. Entscheidend
ist jedoch, dass die grundlegenden Werte - wie Nächstenliebe, Toleranz,
Hilfsbereitschaft, Freiheit, Sicherheit - weiterleben und die Zeiten
überdauern. So wie die Birne im Gedicht.
Eine politische Interpretation
Darf dieses meisterhafte Gedicht auch politisch interpretiert werden?
Ich denke ja, auch wenn die Meinungen über die "richtige Interpretation"
auseinander gehen mögen. Jeder Pfarrer interpretiert die Bibel mitunter
politisch, fast jede literarische Arbeit hat auch eine politische Aussage;
bei Kunstwerken und Kunstballaden ist es ebenso.
Daher meine politische Interpretation, bezogen auf die Schweiz:
Die Zeiten, die Gesellschaft, die Mode ändern sich, unser Leben ist
vergänglich. Auch die Regierungen und die politischen Programme ändern
sich. Was aber bleiben muss, das ist die besondere Stärke der Schweiz
- nämlich ihre einzigartige politische Struktur. Sie gipfelt bekanntlich
darin, dass das Schweizer Volk bei allen wesentlichen Entscheidungen das
letzte Wort hat. Diese schweizerische Besonderheit muss zeitlos gültig
sein. Sie darf weder durch ein sogenanntes Rahmenabkommen noch durch
ähnliche Konstrukte eingeschränkt werden. Sonst wäre die Schweiz
nicht mehr die Schweiz.
Die Ribbeck'sche Birne, welche den Tod des Schlossherrn und viele
Generationen überdauert, steht symbolhaft für die einzigartige
und erfolgreiche politische Struktur, quasi für die Substanz unseres
Landes. Auch in diesem Sinn ist Theodor Fontanes Ballade hochaktuell.